Landes- statt Bundesliga: Handballerin hat ihr Leben total umgekrempelt

Kristina Logvin war Handball-Profi, spielte unter anderem beim Bundesligisten VfL Oldenburg und in der österreichischen Nationalmannschaft. Mit 25 Jahren hat sie diese Karriere beendet und ist zur HSG Hunte-Aue Löwen in die Landesliga gewechselt. Warum, erklärt sie hier ausführlich. Ein Porträt.

  • Das Ende der Profi-Karriere: Kristina Logvin trifft ihre wohl schwerste Entscheidung.
  • Ihre schönste Handball-Zeit erlebt sie in Norwegen.
  • Bei den „Löwinnen“ kommt „manchmal die alte Kristina durch“

 

Oldenburg/Barnstorf – Sie war erst fünf und wurde schon „auf die schwarze Piste gezogen“. In sehr jungem Alter lernte Kristina Logvin auf den anspruchsvollsten Hängen das alpine Skifahren – von Gunnar Prokop, einst Coach ihrer Mutter Tanja beim österreichischen Handball-Erstligisten Hypo Niederösterreich. „Er hatte eine eigene Piste mit eigenem Lift“, erinnert sich Logvin. Mit 13 oder 14 wurde es auch bei ihr ernst mit dem Handball. Sie vermied es, im Winter Ski zu fahren – später als Profi war es ihr sogar vertraglich verboten, eine zweite Sportart zu betreiben. Zu gefährlich. Doch nun spielt sie nicht mehr in der österreichischen Nationalmannschaft oder der deutschen Bundesliga, sondern in der Landesliga. Bei der HSG Hunte-Aue Löwen. Sie darf wieder Skifahren und will es auch unbedingt: „Ich hoffe, im nächsten Winter ist es überall erlaubt.“ Wo genau sie dann hinunterjagt, ist ihr völlig egal: „Hauptsache, es gibt einen Berg.“

Diese kleine Ski-Geschichte ist ein Beweis dafür, dass sich das Leben von Kristina Logvin völlig verändert hat. Sie selbst beschreibt es – hörbar zufrieden – mit vier Worten: „Ich bin jetzt frei.“Schon im Sommer 2020, als sie den Bundesligisten VfL Oldenburg verließ und sich der ehemaligen HSG Barnstorf/Diepholz anschloss, war die Österreicherin deswegen ziemlich aus dem Häuschen und dachte sich: „Kristina, du kannst jetzt Skifahren. Oder Eislaufen. Als mir das in den Kopf kam, ist mir fast mein Gehirn zersprungen.“Blöd nur, dass diese neu gewonnene Freiheit aktuell ziemlich eingeschränkt ist – durch Corona. Kein Teamtraining beim Handball, kaum andere Freizeitangebote, ausschließlich Online-Vorlesungen an der Carl-von-Ossietzky-Universität in Oldenburg, wo sie im ersten Semester Sonderpädagogik studiert. „Ich habe jetzt ein anderes Leben, spüre aber fast nichts davon“, seufzt Logvin. Vor allem der Mannschaftssport fehlt ihr.Die Pandemie hat zu einem „kompletten Cut“ bei Logvin geführt. Von 100 (als viel reisende Profi-Handballerin) quasi auf Null. „Das war anfangs recht schwer für mich“, sagt sie. Ebenso schwer wie die Grundsatzentscheidung, die Karriere auf Top-Niveau mit nur 25 Jahren zu beenden. „Wie lang soll der Artikel denn werden?“, fragt sie – darauf angesprochen – mit einem Schmunzeln. Doch dann wird sie plötzlich ernst und verrät, dass sie „eine lange Identitätskrise“ hatte: „Meine Familie ist Handball, ich bin Handball. Man atmet Handball, man isst Handball, man schläft Handball.“

Sie habe mit der Zeit aber festgestellt, dass dieser Sport, der ihr sehr viel beibrachte, nicht alles in ihrem Leben sein kann: „In meiner letzten Saison in Oldenburg habe ich es besonders gemerkt. Deshalb war es für mich der richtige Zeitpunkt, um aufzuhören.“ Logvin spricht im Nachhinein von einer „sehr wichtigen und richtigen Entscheidung – man kann ja nicht immer Handball spielen.“

Momente wie diese, in denen sie durchaus kritisch auf ihre Profilaufbahn blickt, mischen sich immer wieder in das fast einstündige, überwiegend heitere und lockere Videogespräch. Die in Kiew geborene Logvin ist sehr offen, plaudert mit typisch-österreichischer Betonung über Privates wie ihre True-Crime-Vorliebe („CSI, Navy CIS und Bones habe ich schon immer geliebt“) oder die Abneigung gegen das Laufen („Ich hasse es, aber es bringt mir am meisten – und deshalb mache ich es regelmäßig“). Allerdings wirkt sie zwischendurch auch nachdenklich.Zum Beispiel, als sie über ihre prominente Mutter (momentan Trainerin bei Erstligist Neckarsulm) spricht. Ja, das Verhältnis zwischen den beiden sei prima, sie habe „extremst viel von Mama gelernt“ und telefoniere siebenmal am Tag mit ihr. Vergleiche mit der 46-Jährigen, die eine Zeitlang zur Weltklasse gehörte, mag Logvin aber gar nicht: „Das nervt komplett. Man kriegt schnell das Gefühl: Okay, du spielst Bundesliga – aber Mama hat zweimal die Champions League gewonnen. Das beschäftigt einen dann schon.“ Die zwei Logvins seien völlig verschiedene Handballerinnen, allein schon wegen der Positionen: Die Mutter war die Torjägerin im linken Rückraum, die Tochter ist eher Spielmacherin. „Eigentlich wollte Mama gar nicht, dass ich Handball spiele“, verrät Logvin: „Aber als sie mal zur Vorbereitung auf ein großes Turnier in Brasilien war, hat mich mein Papa zum Training geschickt. Da war ich acht.“Die Familie lebte damals im kleinen Ort Maria Enzersdorf nahe Wien – dorthin war sie gezogen, als Kristina ein Jahr alt war. Es folgten Umzüge nach Slowenien und Dänemark, weil Mutter Tanja dort spielte. Logvin selbst sammelte als 18-Jährige erste Bundesliga-Erfahrungen bei Bayer Leverkusen, war danach noch in Spanien, Ungarn und Dänemark aktiv. Und dann bei Molde HK in Norwegen: „Das war handballerisch meine schönste Zeit, weil ich mich dort enorm gesteigert habe – und auch menschlich entwickelt habe.“ Bei der Arbeit in einem Kindergarten sei etwa ihr Interesse für die Sonderpädagogik geweckt worden.Inzwischen wohnt sie in Oldenburg und fühlt sich wohl. „Je mehr man in Deutschland in den Norden kommt, desto netter und chilliger sind die Leute“, sagt die 25-Jährige mit einem Lächeln. Seit Juli 2020 spielt sie Handball bei den „Löwinnen“. Nach einem guten Gespräch mit Trainer Mario Mohrland habe sie sich gedacht: „Warum nicht?“ Für die HSG hat sie wegen Corona nur ein paar Tests und noch kein Pflichtspiel bestritten („schon komisch“), außerdem seit Monaten nicht mit der Mannschaft trainiert. Trotzdem hat sie bereits für eine weitere Saison zugesagt. „Alle sind echt nett und richtige Partymäuse. Als es noch erlaubt war, haben sie versucht, mich so ein bisschen in die Partywelt reinzuziehen“, berichtet Logvin und lacht: „Das war eine totale Umstellung für mich. Ich finde es mittlerweile ganz cool, nach dem Spiel mal ein Bierchen zu trinken. Eines reicht mir dann aber auch.“Dass sie sportlich wegen ihrer Qualitäten eine besondere Rolle im Team einnimmt, ist klar. Sie mag sich beim Fünftligisten aber nicht gleich als Führungsspielerin aufdrängen und sagt bescheiden: „Ich kann von meinen Mitspielerinnen durchaus etwas lernen in Sachen Mentalität – dass nicht alles immer perfekt sein muss, man auch mal einen Fehler machen und darüber lachen kann.“ In dieser Hinsicht befindet sich Logvin mitten in der Lernphase. „Manchmal“, gibt sie zu, „kommt noch die alte Kristina durch“. Die mit dem Biss, sich in jedem Training verbessern zu wollen: „Das tut mir leid für die Mädels, das nervt sie bestimmt hin und wieder. Da muss ich mich dann zurück in die Spur holen.“

Mittelfristig möchte Logvin mit ihrer neuen Mannschaft in die Oberliga aufsteigen: „Ich habe gehört, dass es unser Ziel ist – und nehme an, dass es dann auch sehr realitisch ist.“ Eine Rückkehr in den Profisport mag sie nicht komplett ausschließen, sie sagt aber: „Ich liebe mein Studium und möchte es fertigmachen, um etwas in der Tasche zu haben. Das ist mir extrem wichtig. Für ein Comeback würde ich das, was ich jetzt habe, nicht aufgeben.“

 

Steckbrief

Name: Kristina Logvin
Alter: 25 Jahre
Geburtsort: Kiew
Größe: 1,68 Meter
Wohnort: Oldenburg
Handball-Positionen: Rückraummitte, linker Rückraum.
Beruf: Studium der Sonderpädagogik in Oldenburg (erstes Semester).
Größte sportliche Erfolge: Deutsche A-Jugend-Meisterin mit Bayer Leverkusen, österreichische Nationalspielerin, Teilnehmerin am Final Four und EHF-Cup-Viertelfinale mit Leverkusen 2013/14.
Vereine: 2003 – 2006 Hypo Niederösterreich, 2006 – 2013 Aalborg DH (Dänemark), 2013 – 2015 Bayer Leverkusen, 2015 BM Granollers (Spanien), 2015 Siofok KC (Ungarn), 2015 – 2016 Sönderjyske Handbold (Dänemark), 2016 – 2018 Molde HK (Norwegen), 2018 – 2020 VfL Oldenburg, seit 2020 HSG Hunte-Aue Löwen.
Länderspiele: 47 für Österreich (81 Tore) – Debüt am 24. Oktober 2013 gegen Dänemark in Dänemark.
Familie: Mama: Tanja Logvin (46), Papa/Stiefpapa: Mykola Logvin (71)/Gerhard Husers (54), Geschwister: Skylynn Husers (6), Jayce Husers (5) und Ruslan Logvin (46) sind allesamt Halbgeschwister („jedoch sind Sky und Jayce wie richtige Geschwister für mich“), Freund Philipp Pollmann (27).
Hobbys: Lesen, True-Crime-Podcasts/-Serien/-Filme („Ohne einen True-Crime-Podcast kann ich nicht einschlafen“ – am liebsten „Mordlust“), Spieleabende („Früher haben wir oft den Taco-Friday gemacht, gegessen und gespielt“ – gerne „Skip-Bo“, „Skyjo“ oder das dänische Spiel „Partners“).