Quelle: Kreiszeitung vom 13.11.21

Julian Wilkens (31) hat die Chance beim Schopfe gepackt und spielt nun für Handball-Oberligist HSG Hunte-Aue Löwen. Im Interview verrät er, warum er es unbedingt wollte – und dass er sogar eine Schulter-OP verschiebt.

Twistringen/Diepholz – „Handwerklich“, gesteht Julian Wilkens, „habe ich leider gar nichts auf dem Kasten“. Beim Bau seines Hauses, das er möglichst zum 1. Juli 2022 in seinem Heimatort Twistringen beziehen möchte, könne er deshalb allenfalls „Schleppen, Kabel ziehen und ein bisschen bohren“. Im Handball ist der 31-Jährige deutlich versierter – auch wenn er von sich selbst bescheiden sagt, kein großes Talent zu sein. Der Linksaußen hat aber den Sprung vom TuS Sulingen zum Oberligisten HSG Hunte-Aue Löwen gewagt und dort mit 19 Toren in fünf Partien einen starken Start hingelegt. Man merkt: Der Mann ist glücklich, zufrieden und stolz. Im Interview spricht Wilkens über den etwas überraschenden Wechsel, seine spät begonnene Karriere, die „kleine Sammel-Leidenschaft“ seiner Familie, seine rechte Schulter – und warum er eine nötige Operation noch aufschiebt.

Ihre Mutter und Ihre Oma sammeln alle Zeitungsberichte über Sie. Wie kam es dazu?

Als ich in Twistringen mit dem Handball anfing, meinte meine Oma: ,Guck mal, Julian. Du bist in der Zeitung.‘ Seitdem schneiden sie alles aus und kleben es ein. Das ist eine kleine Leidenschaft geworden.

Wie dick ist die Mappe mittlerweile?

Oh, da ist mit den Jahren einiges zusammengekommen – ein Aktenordner voll.

Ist Ihre Familie auch handball-affin?

Nein, gar nicht. Meine Eltern sind zwar bei jedem Heim- und Auswärtsspiel von mir dabei, aber eben als Zuschauer. Mein Vater Karl-Heinz hat, glaube ich, noch nie einen Ball durch die Halle geworfen. Die Familie ist komplett im Fußball verankert, mein Vater und mein Onkel Clemens haben viel beim SC Twistringen gemacht. Ich bin da sozusagen ein Ausbrecher. Fußball wurde mit der Zeit immer weniger bei mir – und mit 18 hat es mich dann zum Handball verschlagen.

Bei Jahn Brinkum haben Sie einst ein Jahr in der Oberliga gespielt. Was ist jetzt anders als früher?

Damals war ich ein Grünschnabel, der reingeschnuppert hat. Mittlerweile habe ich einiges gesehen, gehe entspannter ran und genieße es mehr. Und das Drumherum bei den Löwen ist etwas professioneller. Das meine ich nicht abwertend gegenüber Brinkum, aber hier trainieren wir zum Beispiel viermal und nicht nur zweimal. Und ich bekomme momentan viel mehr Spielanteile.

Was reizt Sie besonders an der Oberliga?

Je höher die Klasse, desto attraktiver und intensiver das Spiel. Klar steigt auch die Härte, aber es ist eine saubere und kontrollierte Härte. Da greift dir keiner beim Sprung in den Kreis plötzlich von hinten in den Arm – wie früher, als ich auch schon mal zurückgezogen habe. Ich bin ein Typ, der den Wettkampf sucht. Und Oberliga ist purer Kampf. Schon die Zeit in Brinkum war mega-cool.

Und warum faszinieren Sie die Hunte-Aue Löwen?

Damals habe ich in Diepholz einige Topspiele gesehen und dachte: ,Boah, eine echt geile Show schon beim Einlaufen.‘ Das ist definitiv etwas Besonderes. Und jetzt selbst das Trikot überstreifen zu dürfen, ist echt cool. Wenn man für die Löwen spielt, ist auch eine gewisse Erwartungshaltung da. Das pusht mich.

Erst mit 18 angefangen – und nun mit 31 richtig angekommen in der Oberliga: Sind Sie ein Spätstarter?

Das kann man so sagen. Bei den Löwen gehöre ich tatsächlich zu den Ältesten, obwohl ich nicht unbedingt danach aussehe. Vor dem Trainingsspiel hat neulich jemand gefragt: ,Was, du willst bei den Alten mitmachen?‘ Ich sagte: ,Ja, klar – ich bin 31.‘ Darauf er: ,Ich dachte, du bist 25.‘ Was ich merke: Ich muss ordentlich reinhauen, um mit den Jüngeren mitzuhalten.

Warum?

Teamkollegen wie Peter Kowalski oder Luis Lengauer haben in der A-Jugend-Bundesliga gespielt und demnach eine Top-Ausbildung genossen. Ich bin nicht der Talentierteste, da bin ich offen und ehrlich. Handballtechnisch ist das eher Durchschnitt. Aber ich bin immer zu 100 Prozent dabei, selten mit meiner Leistung wirklich zufrieden und habe einen wahnsinnigen Ehrgeiz.

Gut in der Abwehr, clever im Abschluss und ein menschlicher Zugewinn. Er hat meine Erwartungen total übertroffen. Es passt alles 100-prozentig. Mit Julian haben wir einen Volltreffer gelandet.

Löwen-Coach Heiner Thiemann über Julian Wilkens

Deshalb auch der Wechsel zu den Löwen. Wie kam der zustande?

Heiner Thiemann hat einen Tipp bekommen und sich dann bei Jan Mohrmann (ehemaliger Barnstorfer Spieler und Zweitliga-Handballer aus Sulingen, d. Red.) erkundigt, ob man mich in der Oberliga gebrauchen kann (lacht). Ich habe ein paarmal mittainiert und gemerkt, dass ich es probieren möchte.

Sie hatten zuvor allerdings bei Landesklassen-Club HSG Phoenix zugesagt.

Das stimmt. Der Sulinger Rückzug aus der Landesklasse stand fest – und ich wusste, dass ich nicht weiter runter in die Regionsklasse will. Zu Phoenix hatte ich noch Kontakt von früher. Als ich dann aber doch in Richtung Löwen umgeschwenkt bin, habe ich mir extra einen Tag freigenommen, bin zu Phoenix-Trainer Christoph Schweitzer gefahren und habe anderthalb Stunden mit ihm über die Situation gesprochen. Auch habe ich vier, fünf Leute aus dem Team angerufen und von der Chance bei den Löwen erzählt. Alle haben gesagt: Mach’ es!

Es gab keine Misstöne?

Überhaupt nicht. Das Verhältnis zu Phoenix ist nach wie vor top. Kürzlich bin ich dort sogar auf der Mannschafts- und Fan-Party gewesen, weil sie mich eingeladen hatten.

Für die Löwen waren Sie erst nach dem Auftakt in Schwanewede spielberechtigt – wie gut sind Sie trotz verpasster Vorbereitung dort integriert?

Ich bin komplett drin, sie haben es mir hier aber auch extrem leicht gemacht. Wir sprechen viel in Kleingruppen. Cedric Quader sagt mir zum Beispiel, was ich in der Abwehr besser machen kann. Ich decke nun auch auf der Halbposition, was ich bisher nie getan habe. Dass es so gut läuft, hätte ich nie gedacht.

Fürs Team läuft es jedoch noch nicht so rund. Es gab beispielsweise eine Gala gegen Altjührden, aber eben auch schon zwei Klatschen in Achim und gegen den HC Bremen. Welches ist das wahre Gesicht der Löwen?

Puh, schwer zu sagen. Wir haben einige Neue und viele Verletzte, auch Schlüsselspieler wie Kamil Chylinski. Das erschwert es, sich richtig einzuspielen. Wir können in der Liga bestehen, müssen aber Konstanz reinkriegen. Dann sehe ich gute Chancen, uns im Mittelfeld zu etablieren. Die Löwen und die Oberliga – das gehört zusammen. Positiv ist: Alle sind motiviert, haben Spaß und auch die Köpfe oben.

Bei Spielen haben Sie immer blaues Kinesio-Tape am Arm. Warum?

Ich werfe nicht komplett aus der Schulter, sondern auch aus dem Unter- und Oberarm. Um eine Überbelastung zu vermeiden, taped mich unsere Physiotherapeutin vor jedem Spiel. Ich habe zudem zweimal pro Woche Therapie, um die Muskeln zu lockern.

Seit wann begleiten Sie die Schulter-Beschwerden an Ihrem Wurfarm?

Seitdem ich Handball spiele. Wenn ich mich zu sehr strecke, kann die Kugel aus dem Gelenk springen. Das ist oft passiert, deshalb sind dort Knochen abgesplittert – und ich habe zwei Fremdkörper im Schulterbereich.

Klingt unangenehm und schmerzhaft.

Nach ein paar Würfen kribbelt es ein bisschen, aber es ist auszuhalten und bereitet mir momentan keine großen Probleme. Wenn die Splitter mal schlecht liegen, muss ich mich dehnen und bewegen. Dann geht es wieder. Auf Anraten meines Arztes Dr. Muschol aus Bremen habe ich viel Schultermuskulatur aufgebaut, gehe drei-, viermal pro Woche ins Fitnesstudio. Ich kann die Schulter zwar mittlerweile selbst einrenken, musste es aber schon ein paar Jahre nicht tun. Der Doc sagt, ich kann da aktuell nicht viel kaputtmachen – allerdings muss ich irgendwann operiert werden, daran führt kein Weg vorbei.

Wann haben Sie das vor?

Die Saison möchte ich auf jeden Fall durchziehen. Und dann mal gucken, wie es sich entwickelt.

Wie groß ist das Risiko, nach einer OP nicht weiterspielen zu können?

Die Chancen stehen 50:50, hat man mir gesagt. Wenn bei der Operation entdeckt wird, dass doch noch mehr kaputt ist, kann es sein, dass ich aufhören muss. Ich hoffe aber einfach, dass es weiter gutgeht.

Steckbrief: Julian Wilkens

Alter: 31

Geburtsort: Twistringen

Familienstand: ledig

Beruf: Betriebswirt in der Großhandels- und Logistikbranche in Brinkum

Vereine als Spieler: SC Twistringen (2008 bis 2012), FTSV Jahn Brinkum (2012 bis 2014), TuS Sulingen (2014 bis 2021), HSG Hunte-Aue Löwen (seit 2021)

Schönstes sportliches Erlebnis: Aufstieg in die Verbandsliga mit dem TuS Sulingen 2017

Bitterster sportlicher Moment: Wadenbeinbruch samt Syndesmoseriss 2019

Hobbys: Fitness-Studio und Skifahren (seit ich fünf Jahre alt bin, treibt es mich jährlich auf die Piste)

Handballerisches Vorbild: Niclas Ekberg

Lieblingsverein: Es klingt komisch, aber ich schaue so gut wie kein Handball im TV. Lediglich die Spiele von Freunden und Bekannten. Ich habe keinen Lieblingsverein und freue mich immer, wenn es spannend ist.